Stärkere Klimaschutzmaßnahmen könnten doppelt so viel Gletschereis retten

Wissenschaftsredaktion, 29. Mai (EFE). – Nur 24 % der aktuellen Gletschermasse werden übrig bleiben, wenn sich die Welt um 2,7 Grad erwärmt, was der durch die aktuelle Klimapolitik vorgegebenen Entwicklung entspricht. Im Gegensatz dazu würde eine Begrenzung der Erwärmung auf 1,5 Grad – das Ziel des Pariser Abkommens – 53 Prozent dieser Masse erhalten bleiben.
Dies ist das wichtigste Ergebnis einer Studie, die von einem Team aus 21 Wissenschaftlern aus zehn Ländern durchgeführt wurde. Mithilfe von acht Modellen simulierten und berechneten sie den potenziellen Eisverlust der über 200.000 Gletscher außerhalb Grönlands und der Antarktis unter einer breiten Palette globaler Temperaturszenarien.
Die Ergebnisse seien überraschend, so die Forscher: Selbst ohne eine weitere globale Erwärmung – das heißt, wenn sich die globalen Temperaturen auf dem aktuellen Niveau von 1,2 Grad stabilisierten – würden 39 Prozent der weltweiten Gletschermasse irgendwann verschwinden und zu einem Anstieg des Meeresspiegels um mehr als zehn Zentimeter beitragen.
Bei jeder weiteren Erwärmung um 0,1 Grad würde die Welt etwa zwei weitere Prozent ihres Gletschereises verlieren, fassen die Autoren in getrennten Stellungnahmen der Freien Universität Brüssel und der Eidgenössischen Technischen Hochschule (EHT) Zürich zusammen.
In allen Szenarien verlieren Gletscher über Jahrzehnte hinweg rasch an Masse und schmelzen dann über Jahrhunderte hinweg langsamer weiter, auch ohne zusätzliche Erwärmung. Dies bedeutet, dass sie die Auswirkungen der aktuellen Hitze noch lange spüren werden, bevor sie beim Rückzug in höhere Lagen ein neues Gleichgewicht erreichen.
„Unsere Studie macht schmerzlich deutlich, dass jeder Bruchteil eines Grades zählt“, betont Harry Zekollari. „Die Entscheidungen, die wir heute treffen, werden Jahrhunderte lang Auswirkungen haben und darüber entscheiden, wie viel von unseren Gletschern wir erhalten können“, sagt er.
Gletscher seien gute Indikatoren für den Klimawandel, denn ihr Rückzug ermögliche es uns, „mit eigenen Augen“ zu sehen, wie sich das Klima verändert, erklärt Lilian Schuster von der Universität Innsbruck.
Da sie sich jedoch über längere Zeiträume erstrecken, wird das Ausmaß des bereits eingetretenen Klimawandels durch ihre derzeitige Größe erheblich unterschätzt. „Die Situation mit den Gletschern ist tatsächlich viel schlimmer als das, was wir heute in den Bergen sehen“, sagt er.
Dieser Verlust hat nicht nur Auswirkungen auf den Meeresspiegel, sondern auch weitreichende Konsequenzen für die Verfügbarkeit von Süßwasser, erhöht das Risiko gletscherbedingter Gefahren und gefährdet den Gletschertourismus.
Diese Veränderungen werden in allen Regionen und Generationen spürbar sein und unterstreichen die Bedeutung einer globalen Klimapolitik.
Eine der Hauptstärken der Arbeit liege darin, dass erstmals die globale Entwicklung der Gletscher über Zeiträume von mehreren Jahrhunderten hinweg projiziert wurde, und zwar mithilfe von acht Modellen statt einem oder zwei, erklärt Zekollari.
Während Studien, die sich auf das Jahr 2100 beschränken, beispielsweise davon ausgehen, dass ungeachtet der künftigen Erwärmung rund 20 Prozent der derzeitigen Gletschermasse verloren gehen werden, zeigt die neue Studie, dass unter den gegenwärtigen Bedingungen fast doppelt so viel verschwinden würde, wenn man Zeiträume von mehreren Jahrhunderten betrachtet.
Rund 40 Prozent der Gletschermasse (im Vergleich zu 2020) seien „effektiv zum Verschwinden verurteilt“, beklagt Zekollari.
Der erhebliche Verlust an Gletschern weltweit sei unvermeidlich, doch eine konsequente Klimapolitik werde doppelt so viel Eis retten wie auf dem derzeitigen Kurs, fasst die belgische Universität zusammen.
„Unsere Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit rigoroser Minderungsmaßnahmen, um den langfristigen Erhalt der Gletscher zu gewährleisten“, schreiben die Autoren in ihrem in Science veröffentlichten Artikel. EFE
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