Die Diskussion um die Netzausbaukosten ist ein Symbol für das Ausbremsen der Energiewende

Es klingt ja erstmal schlüssig: Die Erneuerbaren müssten mehr Systemverantwortung übernehmen, sagte Wirtschaftsministerin Katherina Reiche jüngst der Nachrichtenagentur dpa. Nichts anderes sagen die Verbände der Erneuerbaren selbst. Schließlich stellten Sonne, Wind & Co in den ersten sechs Monaten dieses Jahres fast 65 Prozent der Nettostromerzeugung.
Doch was Branche und Ministerin unter Systemverantwortung verstehen, könnte unterschiedlicher nicht sein. Während es den Erneuerbaren-Vertretern um eine Neugestaltung des Strommarktdesigns geht, um faire Bedingungen beim Stromhandel und um die Nutzung von Flexibilität, geht es Reiche lediglich um Kostenverlagerung.
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Reform der Netzentgelte auf Kosten der ErneuerbarenDie Ministerin ist der Meinung, der Ausbau der Erneuerbaren gehe zu schnell, überfordere das Netz und verursache daher zu hohe Kosten, die von der Allgemeinheit getragen werden müssten. Deshalb sollten sich die Betreiber von Wind- und Solarparks an den Kosten des notwendigen Netzausbaus beteiligen. Die Idee stammt aus einem Diskussionspapier zur Reform der Netzentgelte, das die Bundesnetzagentur im Mai veröffentlichte. Ob eine Gebühr für Einspeisung von EE-Strom oder ein Baukostenzuschuss, der beim Netzanschluss bezahlt werden muss – die Vorschläge gingen in unterschiedliche Richtungen. Gemeinsam war ihnen aber: Zahlen sollen nur die Erneuerbaren.
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Mit Ministerin Reiche haben diese Vorschläge eine prominente Fürsprecherin gefunden. Der dpa sagte sie mit Blick auf die Erneuerbaren: „Systemverantwortung heißt, dass die Kosten für den Netzausbau nicht mehr nur über die Netzbetreiber und die allgemeinen Netzentgelte von den Stromkunden zu bezahlen sind.“
Wieso sollen eigentlich nur die Erneuerbaren zahlen?Erstaunlich nur, dass andere Netznutzer, etwa die Betreiber der geplanten 20 GW Gaskraftwerke, dabei keine Erwähnung finden. Und auch sonst ist es in der Energiebranche üblich, Systemkosten von der Allgemeinheit bezahlen zu lassen. Seien es Subventionen wie der „Kohlepfennig“, die über Jahrzehnte in die heimische Kohleindustrie geflossen sind, seien es Kosten für die Lagerung von Atommüll oder den Ausbau der LNG-Terminals: Gezahlt hat die Allgemeinheit, entweder als Steuerzahler oder Verbraucherin.
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Warum also gibt es in diesem Fall eine Sonderregelung für die Erneuerbaren? Der Eindruck verfestigt sich, dass Katherina Reiche die Energiewende ausbremsen will. Ihr in Auftrag gegebenes Gutachten, der „Realitätscheck“ der Energiewende, der Ende des Sommers vorliegen soll, treibt so manchem schon die Sorgenfalten auf die Stirn. Es wird darum gehen, wie viel Strom Deutschland in Zukunft braucht.
Die sonst so auf Leistung orientierte Union lässt wenig Ehrgeiz bei der Energiewende erkennenDie Wirtschaftsministerin vertritt die Ansicht, die Zahlen der Ampelregierung seien zu hoch. Der Absatz von Wärmepumpen und Elektroautos gehe nicht so schnell voran, wie von der Vorgängerregierung erhofft, und auch die Industrie brauche mehr Zeit für die Elektrifizierung energieintensiver Prozesse, so die Argumentation. Dabei blendet sie aus, dass allein die breite Nutzung Künstlicher Intelligenz in Zukunft enorm viel Strom verbrauchen wird, ebenso wie Klimaanlagen, die angesichts heißerer Sommer notwendig werden.
Dazu kommt: Man könnte sowohl den Absatz von E-Autos als auch den von Wärmepumpen politisch unterstützen, statt die niedrigen Verkaufszahlen als Argument für ein Verlangsamen der Energiewende zu missbrauchen. Denn schließlich beeinflussen niedrigere Prognosen künftiger Energiebedarfe die Ausbauziele im Erneuerbaren-Energien-Gesetz. Hier steht die nächste große Reform an, wenn 2026 die beihilferechtliche Genehmigung durch die EU ausläuft.
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Ja, die Regierung hat sich im Koalitionsvertrag dazu bekannt, bis 2045 Klimaneutralität zu erreichen. Unions-Politiker schieben aber gern ein „aber die Ziele sind sehr, sehr ambitioniert“ hinterher. Erstaunlich, dass die sonst so auf Leistung orientierten Konservativen in diesem Fall vor Ehrgeiz und Ambition zurückschrecken und lieber Hürden aufbauen als aus dem Weg räumen. Die Beteiligung an den Netzausbaukosten ist nur eine davon. Es steht zu befürchten, dass weitere folgen.
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