Iran-Israel-Konflikt: Waffenstillstand hin oder her, die Welt schwimmt im Öl
Der Sommer auf der Nordhalbkugel, der die Nachfrage saisonal ankurbelt, ist das letzte Hindernis, bevor das Überangebot deutlich sichtbar wird. Die Ölpreise sinken – und zwar deutlich.
Nach dem Krieg der Kater. Während die Hysterie über die Schließung der Straße von Hormus den Ölmarkt in den letzten Tagen im Griff hatte, könnte die Realität kaum unterschiedlicher sein: Eine Welle von Rohöl aus dem Persischen Golf bildete sich. Nun trifft die Welle auf einen globalen Ölmarkt, der bereits überversorgt ist – daher wurde Brent-Rohöl am Dienstag unter 70 Dollar pro Barrel gehandelt. Der Sommer auf der Nordhalbkugel, der die Nachfrage saisonal ankurbelt, ist das letzte Hindernis, bevor das Überangebot deutlich sichtbar wird. Die Ölpreise sinken – und zwar deutlich. Der „Zwölf-Tage-Krieg“ zwischen Israel und dem Iran hat das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage sogar noch weiter verschärft – nicht nur für den Rest des Jahres 2025, sondern auch bis 2026. Auf der Nachfrageseite ist das geopolitische Chaos schlecht für die Wirtschaft – ganz zu schweigen vom Tourismus. Das ohnehin schwache Wachstum des Erdölverbrauchs dürfte sich weiter verlangsamen, insbesondere im Nahen Osten. Die größte Veränderung kommt jedoch von der Angebotsseite: Der Markt schwimmt im Öl. Ironischerweise ist der Iran eines der Länder, die vor über einem Monat mehr Öl förderten. Konkrete Daten sind schwer erhältlich, da der Iran seine Erdölexporte nach Kräften verschleiert. Dennoch deuten verfügbare Satellitenfotos und andere Schifffahrtsdaten darauf hin, dass die iranische Produktion in diesem Monat mit über 3,5 Millionen Barrel pro Tag ein neues Siebenjahreshoch erreichen wird, leicht über dem Mai-Niveau. Man muss es wiederholen: Die iranische Ölproduktion steigt, nicht sinkt, trotz fast zweiwöchiger israelischer und amerikanischer Bombardierungen. Zwischen den Zeilen gelesen, hat Präsident Donald Trump zwei Dinge deutlich gemacht: Er will keinen Ölpreis über 70 Dollar pro Barrel, und er glaubt weiterhin, dass Washington und Teheran miteinander reden können. Daher ist es sehr unwahrscheinlich, dass das Weiße Haus die Ölsanktionen gegen den Iran verschärfen wird – ein Thema, bei dem Trump dem ehemaligen Präsidenten Joe Biden sehr ähnlich ist: Viel Gerede, wenig Taten. Auf der anderen Seite des Persischen Golfs fördern Saudi-Arabien, Kuwait, der Irak und die Vereinigten Arabischen Emirate mehr Öl als vor einem Monat. Zwar war ein Großteil des Anstiegs erwartet worden, nachdem sich das OPEC+-Kartell auf eine Erhöhung der Produktionsquoten geeinigt hatte. Dennoch deuten erste Schifffahrtsdaten darauf hin, dass die Exporte etwas stärker steigen als erwartet, insbesondere aus Saudi-Arabien. Petro-Logistics SA, ein von vielen Rohstoffhandelshäusern und Hedgefonds genutztes Unternehmen zur Verfolgung von Öltankern, schätzt, dass Saudi-Arabien den Markt im Juni mit 9,6 Millionen Barrel Rohöl pro Tag beliefern wird – dem höchsten Stand seit zwei Jahren. Das Unternehmen misst den Zufluss von Barrel in den Markt und verrechnet damit Lagerbewegungen, nicht die Fördermenge (letztere ist das bevorzugte Maß der OPEC). „In der ersten Monatshälfte gab es einen starken Ölabfluss aus der Golfregion“, erklärt Daniel Gerber, Leiter von Petro-Logistics. Daten der ersten Juniwochen zeigen starke Exporte aus dem Irak und den Vereinigten Arabischen Emiraten – zwei Ländern, die ihre OPEC+-Produktionsmengen typischerweise unterschätzen. Das Risiko ist hier größer, nicht geringer. Und dann ist da noch die US-Schieferölproduktion. Im Mai hing die amerikanische Ölindustrie am Boden, der Rohölpreis näherte sich 55 Dollar pro Barrel. Bei diesen Preisen hätte die US-Ölproduktion in der zweiten Jahreshälfte leicht zurückgehen und 2026 weiter sinken sollen. Der jüngste Konflikt, der das Rohöl auf einen Höchststand von 78,40 Dollar pro Barrel getrieben hatte, bot den US-Schieferölproduzenten eine unerwartete Gelegenheit, Terminpreise festzunageln und so die Förderung zu höheren Preisen fortzusetzen als sonst. Anekdotisch höre ich von Ölbankern der Wall Street, dass an ihren Handelstischen einige der größten Schieferöl-Hedginggeschäfte seit Jahren stattgefunden haben.Bei Schieferöl machen kleine Preisschwankungen eine große Sache aus: Der Unterschied zwischen boomender Produktion und sinkender Fördermenge beträgt eine Handvoll Dollar, vielleicht nur 10 bis 20 Dollar pro Barrel. Bei 50 Dollar stehen viele Unternehmen vor dem finanziellen Ruin, und die Produktion befindet sich im freien Fall; 55 Dollar sind überlebbar; 60 Dollar sind nicht berauschend, aber das Geld fließt noch, und die Fördermenge hält an; bei 65 Dollar bohren alle wieder weiter; und bei 70 Dollar und mehr druckt die Industrie Geld und die Produktion steigt rasant.
Auf dem Ölmarkt ist die Geschichte ein sehr guter Anhaltspunkt. Man denke nur an die Ereignisse nach dem ersten Golfkrieg 1990/91 oder dem zweiten 2003. Trotz des Blutbads fließt das Öl weiter – oft in größeren Mengen. Nach dem Ende des Konflikts nimmt der Ölfluss weiter zu. Der Iran-Israel-Konflikt ist noch nicht vorbei. Der Waffenstillstand ist bestenfalls vorläufig. Und weitere Versorgungsengpässe könnten die Aussichten ändern. Doch derzeit hat die Welt mehr Öl, als sie benötigt.